In den ersten Wochen steht naturgemäß die Schriftkunde im Mittelpunkt, gilt es doch, mit viel Fleiß und ein wenig Geduld die zum Teil aus anderen Fächern (z. B. aus den Winkelbezeichnungen der Mathematik) schon bekannten Schriftzeichen zu erlernen und zu verinnerlichen.
Dabei kann durchaus auch auf andere Lernmaterialien als Inschriften oder Texte und Übungen aus dem Lehrbuch zurückgegriffen werden. So haben die Schülerinnen und Schüler der Klasse 8a in den letzten Stunden die neuen Buchstaben anhand verschiedener Trikots verschiedener Fußballvereine der griechischen Super League studiert, auf denen über den Rückennummern in Großbuchstaben (Majuskeln) auch die Spielernamen aufgedruckt sind. Dabei werden bei den Trikots, die im Ligabetrieb getragen werden, meist griechische Lettern verwendet, während die Spielkleidung, die in internationalen Wettbewerben und bei der Nationalmannschaft zum Tragen kommt, in der Regel mit lateinischen Buchstaben beschriftet sind – schließlich sollen Schiedsrichter und Zuschauer in Champions- und Europa-League sowie bei EM und WM die Akteure auch ohne Kenntnis der griechischen Schrift erkennen und benennen können. Erstaunlich: Das griechische Alphabet kann auf eine 3000jährige Kontinuität verweisen: Im modernen Griechenland werden dieselben Schriftzeichen verwendet wie in der Antike.
Aufgabe der Schülerinnen und Schüler war es zunächst, die griechischen Namen zu buchstabieren und zu artikulieren und sie sodann in Kleinschrift (Minuskeln) umzuschreiben. Lateinische Lettern mussten für den nationalen Spielbetrieb in griechische Buchstaben umgewandelt werden – Aufgaben, die die Lerngruppe mit viel Freude bewältigte. So ganz nebenbei konnten die Schülerinnen und Schüler einiges über den griechischen Fußball und die führenden Vereine, aber auch die jüngere Geschichte des Landes lernen. So stellte sich beispielsweise heraus, dass Panathinaikios Athen dem Wortsinn nach ein „Verein für alle Athener“ ist und ein dreiblättriges Kleeblatt, das sogenannte „Triphyllion“ als Wappen führt. Der Lokalrivale AEK Athen führt ebenso wie PAOK Saloniki, der Club aus dem Norden des Landes, das „K“ (Kappa) im Vereinsnamen. Das griechische „Kappa“ steht für „Konstantinopel“ und schlägt einen Bogen zur Vergangenheit beider Vereine, deren Gründer ihre Heimat, das heutige Istanbul, nach der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Griechen und Türken verlassen mussten. Diese sogenannte „kleinasiatische Katastrophe“, die 1923 mit dem Vertrag von Lausanne endete, zog einen Bevölkerungsaustausch nach sich, durch den hunderttausende Griechen die Türkei verlassen mussten und sich vor allem in Athen und Saloniki neu ansiedelten. Die Neugründung der Fußballclubs half ihnen dabei, in der neuen Heimat Gemeinschaft zu erleben und Fuß zu fassen. Doch die Trauer über den Verlust der alten Heimat blieb – sie wird symbolisiert im Vereinswappen, das den byzantinischen Doppelkopfadler zeigt, allerdings mit gesenkten Flügeln. Ein Flüchtlingsverein ist auch Panionios Athen, der alle von der kleinasiatischen Küste Ioniens, speziell aus Smyrna (dem heutigen Izmir) in die griechische Hauptstadt vertriebenen Menschen ansprechen soll. Der Club wurde bereits 1890 in Izmir ins Leben gerufen und in den zwanziger Jahren im Athener Stadtteil Nea Smyrni (Neu-Izmir) neu gegründet.
Darüber hinaus erfuhren die 8. Klässler bei der Erledigung ihrer Aufgabe, dass recht viele griechische Familiennamen auf „idis“ oder „-adis“ enden – ein Suffix (Anhängsel), das schon zu homerischer Zeit das klassische Patronymikon, d. h. die Herkunft vom Vater, kennzeichnet, so wie es in den skandinavischen Sprachen durch das Anhängsel „-sson“ geschieht. So bedeutet zum Beispiel der Name „Nikolaidis“ nichts anderes als „Sohn des Nikolaos“. Und dem Vornamen des Stürmer Angelos Charisteas, der mit „Bote, Botschaft“ wiedergegeben werden kann und mit der Konnotation des „Himmelsboten“ sowohl ins Englische (angel) als auch in die deutsche Sprache (Engel, dazu die weiblichen Namen: Angela, Angelina) eingegangen ist, kommt für die heutigen Griechen insofern nahezu schon „überirdische“ Bedeutung zu, als er mit seinem Kopfballtor zum 1:0 gegen Portugal seine Mannschaft 2004 zum Europameister machte und das Land der Hellenen in einen Taumel ungeahnter Glückseligkeit versetzte.
Auf diese Weise stellt der moderne Griechisch-Unterricht schon in den ersten Stunden einen Bezug zur geschichtlichen Gegenwart des Landes her, die auch im Sport ohne die Vergangenheit nicht zu verstehen ist, und zeigt, dass das altsprachliche Fach keineswegs so verstaubt ist, wie zuweilen angenommen wird!
Josef Frisch